Der Mensch in der Bilderwelt
Elke Keiper

In Hans Rath treffen wir auf einen zeitgenössischen Künstler, der sich für eine Malerei entschieden hat, die sich dem tatsächlich Vorhandenen zuwendet und die aus der unmittelbaren Anschauung der Motive entsteht. Landschaften und Architekturansichten sind die von ihm am häufigsten gewählten Sujets, daneben entstehen seit 1991 auch immer wieder Porträts.

Mit den Portraits betritt Hans Rath einen von Ihm bis dahin wenig erprobten Bereich. Zwar hat er sich in den 70er Jahren intensiv mit dem Thema „Selbstporträt" auseinandergesetzt, doch dann folgt eine längere Phase, in der das menschliche Abbild für Hans Rath keine Rolle mehr spielt. Und nun fällt mit der Entscheidung für dieses neue Sujet auch die Entscheidung für eine ganz neue Arbeitsweise. Die direkte Begegnung mit dem Bildgegenstand mag bei den Landschafts- und Architekturbildern noch als eine einseitige Besetzung des Sujets durch den Maler aufgefasst werden. Dass diese Sichtweise jedoch in die falsche Richtung führt, wird spätestens in der Auseinandersetzung mit den Porträts deutlich. Als (Zusammen-)Arbeit mit dem realen Modell spiegeln diese besonders gut das Erkenntnisinteresse von Hans Rath wieder. Hier ist der Bildgegenstand ein lebendiges Gegenüber, schließt die direkte Begegnung zugleich einen Austausch mit ein, der für Rath ein ungleich höheres Potential an Spannung bietet. Damals wie heute ist die fast intime Situation zwischen Maler und Modell, sind die Formen non verbaler Kommunikation zwischen Künstler und Modell während der Sitzung und die energetische Spannung, die sich aus der direkten Konfrontation mit seinen Modellen ergibt, für Hans Rath immer wieder Herausforderung und Stimulans. Denn auch wenn der Reiz der unmittelbaren Begegnung mit dem Gegenstand seines malerischen Interesses alle Arbeiten seit den späten achtziger Jahren durchzieht, so kulminiert er doch in den Porträts. Nirgendwo ist die spannende Nähe zum Gegenstand so greifbar wie hier-und in keinem anderen Bereich muss der schmale Grad zwischen Nähe und Distanz genauer ausbalanciert werden. So sind es zunächst auch Freunde aus dem engeren Bekanntenkreis, die Rath porträtiert, später erweitert um Personen, die dem Maler zu Hause oder auf Reisen begegnen und die als Bild festzuhalten ihn interessieren.

Im Unterschied zu den späteren Arbeiten sind die ersten Porträts durch die Wahl eines größeren Blickwinkels gekennzeichnet. Hier sind die dargestellten Personen zunächst noch als Brustbilder umgesetzt, als wolle der Maler zwischen sich und dem Modell einen angemessenen Abstand legen. Der Farbauftrag ist kräftig und schnell, der Pinselduktus gut zu erkennen. Gesicht und Körper werden aus der Farbe heraus entwickelt, der Hintergrund ist in einem kräftigen und bestimmenden Blaugrau gehalten. Die Malerei folgt der Situation – ein Portrait soll entstehen, in kurzer Zeit soll das Eigene und Spezielle eines Menschen erfasst werden. Das Pendeln zwischen dem Schauen, dem Wahrnehmen einerseits und dem Umsetzen, dem Malen andererseits befindet sich hier noch in der Erprobungsphase.
Die jüngeren Porträts wirken dagegen ruhiger und direkter. Der gewählte Bildausschnitt entspricht heute mit seiner Konzentration auf Gesicht und Schultern dem Prinzip eines Passfotos. Die Person, jetzt formatfüllend ins Bild gesetzt, ist damit auch näher an den Betrachter herangerückt. Bild und Abbild streben eine Kohärenz an. Die Arbeitsweise ist spontan. Es werden weder langfristige Vorstudien erstellt, noch ein „Sitzungsmarathon" anberaumt. Statt dessen wird das Bild „nass in nass" gemalt, sein Gegenüber wird also in einem Guss erfasst und wiedergegeben, wobei die anatomische „Richtigkeit" zwar angestrebt ist, aber als Kriterium für das malerische Gelingen keine wesentliche Rolle spielt. Eventuell sind in einer zweiten Sitzung noch kleine Korrekturen möglich - dann aber muss es sich erweisen, ob das Abbild transformiert und als Bild seine endgültige Form gefunden hat - eine Form die nicht als Selbstzweck zelebriert wird, sondern immer sowohl den Maler mit seiner Nähe zum Sujet wiederspiegelt, als auch dem gesehenen Menschen entspricht. Daher ist es konsequent, dass alle Porträts in ihrer formalen Behandlung variieren; einzig das konstante Format bildet die gemeinsame Basis aller Porträts, gleichsam aus einer humanistischen Grundhaltung heraus: Jede Person erhält den gleichen (Bild-) raum, in dem sie sich entfalten kann. Alles weitere wird bestimmt durch die Entscheidungen des Malers über die adäquaten malerischen Mittel zur Bildfindung, um das vor seinem Auge stofflich dreidimensional Vorhandene mit den Mitteln einer stofflichen Malerei in zwei Dimensionen umzusetzen. Ein weiterer zentraler Aspekt der Malerei von Hans Rath ist es, auch das wahrgenommene Unstoffliche als Wesentliches zu erfassen und wiederzugeben. Denn die Wahrnehmung und Verbildlichung dieser Dimension von Wirklichkeit bildet für Hans Rath die Grundlage seiner Arbeit. Rath interessiert sich nicht für vermittelte oder künstliche Wirklichkeit. Die körperlich-stoffliche Präsenz des Dargestellten wie der Darstellung ist für ihn zwingend - das Wesen der Dinge und das des Menschen wie auch dessen Verbildlichung im malerischen Werk, verwirklicht sich nur in der direkten Begegnung. Transzendenz lässt sich nur in der realen Welt erfahren.
Daneben ist es die permanente Auseinandersetzung mit Fragen der Malerei, die bei der Darstellung der Oberflächen und Materialien zu unterschiedlichen Bildlösungen führt.Je nach Bedarf werden alle malerischen Möglichkeiten der Bildherstellung ausgereizt, die Handhabung der malerischen Mittel ist dabei direkt mit dem Dargestellten verbunden. Zum Beispiel bei dem Portrait „Fausta" von 1998 bilden Grundierung und Farbauftrag ein Nebeneinander und rufen so die durchlässige Erscheinung eines leichtgemusterten Seidenschals hervor. Noch offener genutzt wird dieses Prinzip der freien Handhabung. der malerischen Mittel bei der Behandlung des jeweiligen Bildhintergrunds: Dieser referiert nicht eine tatsächlich vorhandene Umgebung sondern verselbständigt sich, wirkt hell und neutral, löst sich ganz in Malerei auf. Damit erfüllt er eine doppelte Funktion: Er ist sowohl Projektionsfläche für malerische Probleme als auch Garant für eine Unzeitlichkeit der angebotenen Bildinhalte. Diese Unzeitlichkeit bewirkt jedoch kein Abdriften ins Raum- und Zeitlose, keine Verstärkung der Fiktion um ihrer selbst willen. Ohne irgendwelche Hinweise auf Ort oder Zeitpunkt der Porträtsitzung wird das Geschehen ins Absolute gerückt, erhält auch die körperliche Präsenz der Modelle einen absoluten Stellenwert. Die Wirklichkeit des Menschen, sein Wesen, sein „So Sein", als reale Erscheinung wird mittels der subjektiven Wahrnehmung des Künstlers in möglichst allen Anteilen erfasst und im Porträt wiedergegeben. Dabei fließen auch die Selbstbilder der Porträtierten nur bedingt in das Endresultat ein -es gilt die Potenz des Menschen jenseits seines eigenen Rollenverständnisses zu sehen und darzustellen. Nicht dessen augenblickliche Konstitution wird als absolutes Bild fixiert. Statt dessen geht es darum, die Substanz des Subjekts zu erfassen und gleichsam als Wesenheit zu manifestieren, jenseits oberflächlicher Erscheinungen oder momentaner Stimmungen. Die Festlegung der oder des Porträtierten auf einen bestimmten Typus, auf bekannte, zugeschriebene oder gewünschte Rollen tritt zurück, hinter dem Menschen als freiem, individuellem Phänomen. Diese unmittelbare Anschauung ermöglicht eine Intensität, aus der heraus gleichzeitig sowohl eine deutliche Nähe aber auch eine professionelle Distanz zum Sujet hergestellt werden kann, eine Nähe, welche die „Übersetzung" des Eigentlichen in ein Bild erlaubt und eine gleichzeitige Distanz, die verhindert, dass mögliche „Sentimentalitäten" des Malers seinen Wahrnehmungs- und damit auch den Umsetzungsprozess trüben. Das Gegenüber wird in die Gegenwart, in die Aktualität des Bildnisses übertragen, das als Malstück seine eigene Präsenz und Individualität erhält, parallel und in Entsprechung zum Dargestellten.